… oder wie Leute ihr Buch schreiben, bevor sie es überhaupt schreiben.
Zugegeben. Diese Aussage klingt recht hart und verwirrend. Viele lieben es, zu plotten, weil es ihnen Struktur gibt. Und dass es gewisse Vorzüge hat, möchte ich auch gar nicht abstreiten. Nur ist nicht jeder als Plotter geboren.
Wenn man jedoch irgendwann inmitten des Buches nicht mehr weiter kommt, weil die Zusammenhänge nicht mehr stimmen, DANN sollte man sich Gedanken machen, obs nicht doch besser wäre, mal in Richtung „plotten“ zu gucken. Ja, auch ich bin an diesen grausigen Punkt gekommen. Aber das war nicht inmitten eines Buches. Es war, als der Roman bereits mit den Worten „The End“ abgeschlossen war.
„Ja wie? Warum so spät?“, werden einige von euch fragen. Dazu komme ich später. Lasst mich erstmal erklären, was „plotten“ ist. Für die, die es nicht wissen.
Plotter vs. Bauchschreiber
Ein „Plot“ ist für ein Buch das, was für einen Film das Drehbuch ist. Das ist denke ich die einfachste Erklärung.
Man entwirft also zuerst die Grundstruktur des Buches. Was für Personen (Protagonisten) darin vorkommen, welche Rolle sie spielen, wohin sie ihr Weg führt (dabei sollte man die Heldenreise nicht außen vor lassen) und so weiter. Das reicht von groben Anhaltspunkten von Ort und Zeit bis zum kleinsten Detail.
Es wäre nicht so, dass ich den Sinn dahinter nicht verstehe. Leuchtet mir vollkommen ein. Und ich bin wirklich gewillt. Aber etwas in mir sträubt sich noch immer. Trotz zig Kursen, Büchern und Workshops. Ich habe schon Plots gesehen, die so ins Detail geht, dass ich mich frage: Was zur Hel willst du noch schreiben? Da steht doch schon alles! Gut, FAST alles.
Klarer Vorteil: Ein „roter Faden“, der sich durch die ganze Geschichte zieht und die einem hilft, auf dem Weg zu bleiben.
Aber ich weiß doch jetzt noch nicht, wo mich die Protagonisten hinführen! Mein Bauchschreiber-Gen schreit kläglich auf. Ich lasse meine Protagonisten laufen. Am Anfang weiß ich meist nicht einmal, wer sie genau sind. Wage Erscheinungen nehmen mit jeder Seite mehr Gestalt an. Da ist das liebe Mädchen, welches auf einmal einen Fluch der übelsten Art los lässt oder der starke Held sitzt in der Ecke und weint wie ein Kleinkind.
Plotter entwerfen das, bevor sie die erste Seite schreiben. Ich lasse mich überraschen. Was jetzt nicht heißen soll, dass den Plottern nie etwas Unvorhersehbares passieren kann. Und entweder sie sind so hart und sagen: „Ne Bursche, du bist aber so und so und das bleibst du auch!“ oder sie ändern etwas Minimales an der Struktur des betreffenden Teils. Beneidenswert … Ich meine das im Ernst.
Das blinde Vertrauen in eine fiktive Figur kann trügerisch sein
Wie oft ich schon versucht habe, einen Plot auf die Beine zu stellen, bevor ich angefing zu schreiben, weiß ich nicht mehr. Oft. Da sitze ich dann über dem Dokument, auf dem allein der Name prankt, das Geschlecht. Vielleicht geht es mir sogar leicht von der Hand, ungefähr zu wissen, wo er herkommt … Und dann …
Allein beim darüber nachdenken, wo er herkommt, schießen mir oftmals schon so viele Ideen, fertige Sätze, Stimmungen und Orte durch den Kopf, dass ich die festhalten muss. Aber nicht, wie es ein Plotter macht (Wald, tiefste Nacht, Raureif, Vollmond, Alptraum), nein. Oftmals entstehen da schon die ersten Seiten, die mich „anfixen“. Das will weiter ausgeführt werden! Der Protagonist will mich an die Hand nehmen, mich in seine Geschichte ziehen und verbindet mir zuvor die Augen.
Und dann ist er da, dieser Sog, der einen kaum mehr frei lässt. Dann nehme ich mir vor: Ok, die Szene hab ich ihm geschenkt. Morgen mache ich mich ernsthaft über den Plot! Klappt … mittelmäßig. Etwas bekomme ich dann zu Papier, was sich aber sicher nicht Plot nennen dürfte. Meistens rutsche ich in die nächsten Szenen, die Seiten füllen. „Klingt doch nicht schlecht!“, werdet ihr jetzt sagen. Nein, ist es auch nicht. Solang das Ganze Sinn macht. Und ich meine nicht nur in diesem Moment.
Ein Protagonist hätte gereicht
Ja, ich habe mein Problem erkannt und versuche es aus dem Weg zu räumen. Leicht ist das nicht. Vergleichbar mit Mordshunger, man stellt dir ne Pizza hin, du darfst sie jedoch nicht essen.
Ich sehe ein, dass es weit einfacher wäre, wenn ich einen roten Faden, einen Plot hätte, an dem ich mich durch das ganze Buch hangeln könnte. Dann bleiben böse Überraschungen aus. Womit wir beim Thema wären.
Ich war stolz wie nochmal was, als ich meinen ersten Roman beendet hatte, und das noch rechtzeitig zum „Überarbeiten-Kurs„, bei dem ich mich angemeldet habe. Er war wirklich hilfreich, auch interessant. Denn einige Punkte, die es zu beachten gilt, hatte ich einfach noch nicht auf dem Schirm. Klasse war auch die kleine Gruppe aus Autoren, mit denen ich mich noch immer „treffe“, wir uns mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Tja. Sie waren es auch, die mich bei der Besprechung meines Buches darauf aufmerksam machten, dass etwas nicht stimmt. Erst durch ihre ehrliche Kritik merkte ich, was da so „störend“ gewesen war: Ich hatte mindestens 6 Hauptprotagonisten, jeder mit seiner eigenen Geschichte. Es gab keinen, auf den sich der Leser hätte konzentrieren können. Und wo ich die vielen „Einsichten in verschiedene Leben“ als abwechslungsreich empfand, verwirrte es den Leser nur. An diesem Abend fiel es mir wie Schuppen von den Augen (und ich vom Stuhl). Zack! 350 Seiten für die Tonne.
Learning by doing.
Mit Plot wäre das wohl nicht passiert.
Der "Plot-"Drache und sein hinterfotziges Vorhaben
Es war noch nicht aller Tage Abend. Auch wenn ich bei meinen kläglichen Versuchen, dieses Kuddelmuddel in geordnete Bahnen zu lenken, immer ein kaum hörbares Lachen im Ohr hatte. Erst ein Autorenkollege sagte mir: „Ganz klar. Is der Drache, der dich daran hindern will, dass du die Geschichte wirklich fertig bekommst. Hast du schon was Neues angefangen?“
Äh … Woher zur Hel wusste er jetzt, dass mir der Satyr mit seiner so geilen Geschichte dazwischen grätschte?
Die „Erklärung“ lag auf der Hand. „Der Drache“ versuchte, mich in zig Geschichten zu verspinnen, damit ich nie eine fertig bekomme. Weil sonst würde er sterben. Klingt abgefahren, oder? Aber er hat Recht. Man muss seinen eigenen Drachen besiegen. Viele Autoren haben Probleme, ihre Geschichten oder Protagonisten „loszulassen“. Das geschieht, wenn man „The End“ drunter setzt. Dann ist die Geschichte fertig, man wird nicht mehr gebraucht, der Drache getötet. Und wer stirbt schon freiwillig, wenn er so schön umsorgt wird? Dieser Gedanke, dass da wirklich was dran sein könnte, half mir für kurze Zeit, den Satyr auf die Seite zu schieben und mich wieder den Gestaltwandlern zuzuwenden.
Aus einer Kurzgeschichte einen Roman machen?
Das war ja eh so eine Sache. Geplant war das nicht und eigentlich sind die 350 Seiten nur durch Zufall entstanden. Ich habe bei einer Kurzgeschichten-Ausschreibung mitgemacht, mir gefiel das aber nicht wirklich, also legte sich sie auf die Seite und schrieb eine neue, die dann auch genommen wurde. Also versuchte ich aus etwas Kurzem einen Roman zu machen. Man sieht ja, wohin das führte. Aber die vier „Einzelstunden“ bei unserem Hardcore-Plotter (und das meine ich so!) haben mir in vielen Belangen die Augen geöffnet. Wäre es nur an mir, es umzusetzen (und so meinen ganz persönlichen Drachen zu töten).
Warum ich ein paar Wochen später die Geschichte nicht mehr anfassen konnte, gehört nicht hier her. Aber deswegen ist sie ja auch nicht weg. Der Drache hockt mit seinem fetten Arsch auf den geschriebenen Seiten und stößt kleine Rauchkringel aus seinen Nüstern. Er scheint darauf zu warten, dass ich wieder auftauche und ihm meinen Plot um die Ohren fetze. Kann er haben. Nicht heut, nicht morgen. Aber er sollte nicht vergessen, dass ich ihn im Blick habe.
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Bilder © Pixabay, Morgane A. Tusk